Parallelen - Reden über das gute Leben: Friedenskinder

Sonntag, 29. Oktober 2023 - 10:30

Die Reihe Parallelen schlägt eine Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis über Themen, die essenziell für eine positive Lebensführung sind und uns als Individuen sowie als Kollektiv betreffen. In dieser von Brigitta Soraperra moderierten Gesprächsrunde wird beleuchtet, welches Gepäck wir von unseren Vorgenerationen, die Krieg erlebt haben, mit auf den Weg bekommen. Was unterstützt eine transgenerationale Transformation in Richtung Frieden?

Mit: Lisa Hämmerle, Friedens- und Konfliktforscherin
Nicholas Perpmer, Spezialist für Internationale Beziehungen und Ayurveda Medizin 
Margarete Zink, Kuratorin, Kulturgeschichts- und Biografieforscherin
Moderation: Brigitta Soraperra, Regisseurin, Kulturvermittlerin

Idee & Konzept: Margarete Zink

Art Work: Elisabeth Kopf, Requiem für Lida, Photocollage auf Büttenpapier, 2022
Die Erinnerung an verlorene Menschen und Beziehungen in der Familiengeschichte thematisiert Elisabeth Kopf mit dieser Photocollage, in der sie ihr Selbstporträt in eine Fotografie ihrer Großmutter mit ihrem Vater als Kleinkind montiert. Die Verbindung der Generationen ist wirksam durch die Übertragung der Bindungen einerseits als auch durch traumatisierende Verluste, die mit dem Erleben einer Kindheit beziehungsweise Mutterschaft im Krieg einhergehen. Die Darstellung dieser speziellen Mutter-Sohn-Tochter-Beziehung wird durch eine das Dreieck komplettierende Figur ergänzt, die im Maßstab verkleinert im rechten unteren Bildrand sitzt. Dieses junge Mädchen mit den langen Zöpfen ist eine ukrainische Zwangsarbeiterin namens „Lida“, die so wie viele junge „Ostarbeiterinnen“ nach Vorarlberg verschleppt wurde, um als Bauernmagd, Haushaltshilfe oder Fabriksarbeiterin den kriegsbedingten Arbeitskräftemangel auszugleichen. Als eine Kriegsopfer-Schuld bleibt die Erinnerung an dieses temporäre Familienmitglied an der scheinbaren Idylle haften und ist zugleich auch ein wichtiger Teil der Familiengeschichte, auf den Elisabeth Kopf mit ihrer Arbeit „Requiem für Lida“ selbstbewusst den Blick richtet.

KünstlerIn: Elisabeth Kopf TITEL: Requiem für Lida (Trauerforschung, aus dem Zyklus “Filmrequiem”)
Jahr: 2022, Material: Auf Büttenpapier, Material Fine Art, Mit Pigmenttinten, Technik Photocollage Unikat: Edition 1/4 Abmessungen: 28,8 cm x 18 cm

Zum Thema: „Friedenskinder“ oder Wie wir unsere Potenziale leben Manche wollen ihr Potenzial leben und stoßen dabei immer wieder an Grenzen, die unüberwindbar scheinen. Die Ursache kann in der Familiengeschichte liegen, wenn erlittenes Leid durch Kriegserlebnisse an die nächste Generation weitervererbt wurde. Diese Weitergabe ist mit dem Begriff der „transgenerationalen Traumatisierung“ oder auch „Trauma-Transmission“ verbunden und in den letzten beiden Jahrzehnten nach und nach zum Gegenstand verschiedener Buchpublikationen und Vorträgen in Bereichen der Geschichte, Soziologie und Psychologie geworden. Die Grundlage dieser Forschungen ist die Dokumentation von Lebensgeschichten in mündlichen Erzählungen, die den teils am eigenen Leib oder auch indirekt erlebten Schrecken des zweiten Weltkriegs und dessen Folgen zum Ausdruck bringen können. Die Forscher*innen und Autor*innen brechen das Tabu der Nachkriegsgenerationen, über das Erlebte zu sprechen und helfen dabei, das tiefsitzende Trauma im kollektiven Gedächtnis anzuerkennen.

Im Rahmen der Parallelen im Saumarkt spricht die Friedens- und Konfliktforscherin Lisa Hämmerle über die „Transgenerationale Traumatisierung“ von Nachkriegsgenerationen aus dem Blickwinkel der „International Peace Studies“, die sich den Grundlagen und Dynamiken von Konfliktgeschehnissen sowie Gewaltzyklen widmen. Gemeinsam mit ihrem Partner Nicholas Perpmer suchen sie nach Wegen, die Themen Konflikttransformation und Entwicklung von Friedenspotentialen sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf individueller Ebene zu fördern. Nicholas Perpmer fokussierte sich im Studium der Internationalen Beziehungen, Umwelttechnologie und Nachhaltiger Entwicklung auf die Frage, wie wir unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem friedfertiger und naturbezogener an die nächste Generation weitergeben können. In seinem Forschungsansatz beschäftigt er sich seit einigen Jahren auch mit dem Ayurveda, der traditionellen indischen Naturheilkunde, die sich ganzheitlich, von sozialen und wirtschaftlichen Fragen, bis zu psychologischen und ethischen Fragen mit diesen Themen schon seit Jahrtausenden auseinandersetzt.
Die Kulturhistorikerin und Kuratorin Margarete Zink erforscht im regionalen Umfeld in Vorarlberg die Biografien der um 1930 Geborenen, deren Eltern den Ersten Weltkrieg erlebten und sie selbst als Kinder und Jugendliche den Zweiten Weltkrieg. Diese „Baby-Boomer-Generation“ der Nachkriegszeit blieb mit ihrem Leiden meist unbeachtet, im Schatten der Kriegsopfer, der Soldaten und Opfer des nationalsozialistischen Terrors. Erst die Enkelgeneration, die Generation der „Friedenskinder“ im Unterschied zu den „Kriegskindern“, hat die Möglichkeit, ihr Trauma als solches zu erkennen und es auf unterschiedliche Weise in den Fokus zu rücken, frei von den auferlegten gesellschaftlichen Tabus. In zahlreichen Interviews dokumentiert die historische Forschung auch in Österreich und Deutschland seit vielen Jahren bereits das Erleben von Nationalsozialismus, Krieg- und Nachkriegszeit. Margarete Zink spricht im Rahmen der Parallelen darüber, wie aktuelle Publikationen und Forschungsmethoden sich diesem Thema annähern und was die Beschäftigung mit der eigenen Familiengeschichte auch im persönlichen Bereich bewirken kann.

Biographien:
Lisa Hämmerle: Friedens- und Konfliktforscherin geb. 1993 in Schwarzach, studierte Politikwissenschaft, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien, International Peace Studies am Trinity College Dublin sowie Mediation und Konfliktmanagement, Europa Universität Viadrina, Frankfurt (Oder). Internationale Berufserfahrungen sammelte Lisa Hämmerle bei der österreichischen Botschaft in Canberra, Australien, bei einer NGO in Seoul (Südkorea) und bei der EU-Delegation der UN in Genf, Schweiz.

Nicholas Perpmer: Forscher für Nachhaltige Entwicklung geb. 1992 in Bregenz, studierte Internationale Betriebswirtschaft, Umwelttechnologie und Internationale Beziehungen an der Wirtschaftsuniversität Wien, der Technischen Universität Wien sowie der Diplomatischen Akademie Wien. Zudem absolvierte er Auslandstudien zu den Themen Energie, Umwelt und Nachhaltige Entwicklung in Paris und Oslo. Nicholas sammelte auch internationale Berufserfahrung für das österreichische Außenministerium sowie die Außenwirtschaft der Wirtschaftskammer Österreich, wo die Themen Wirtschaftsförderung und Nachhaltigkeit im Zentrum standen. Seit einigen Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema Ayurveda, dem „Wissen vom Leben“, so die wörtliche Übersetzung des Sanskrit Begriffs.

Brigitta Soraperra: Regisseurin, Kulturvermittlerin, Moderatorin geb. 1968 in Bludenz. Studium der Theaterwissenschaften, Germanistik, Psychologie und Philosophie in Innsbruck und Wien. Arbeitete als Regieassistentin u.a. am Burgtheater Wien und am Neumarktheater Zürich. Ab 2002 freischaffende Regisseurin und Dramaturgin mit zahlreichen Inszenierungen in der Schweiz, Österreich, Liechtenstein und im süddeutschen Raum. In den letzten Jahren vermehrt Projektentwicklungen im gesellschaftspolitischen Bereich, Konzeption und Realisation von Ausstellungen und Programmschienen, schreibt regelmäßig für die Marie Straßenzeitung und ist freie Mitarbeiterin in der „Schaffarei – Haus für Arbeitskultur“ (AK Vorarlberg).

Margarete Zink geb. 1974 in Feldkirch, Studium der Kunstgeschichte in Wien und Brüssel, Kulturgeschichts- und Biografieforscherin. Wohnhaft in Rankweil, eine Tochter. Seit 2008 selbständige Tätigkeit mit Schwerpunkt Redaktion, Kommunikation, Kunst, Kooperationen. Seit 2011 projektbezogene Kooperationen mit Archiven und Museen als Kulturwissenschaftlerin, Interviewerin und Kuratorin, u.a. Ausstellung „Ware Dirndl. Austrian Look von Franz M. Rhomberg“ im Stadtmuseum Dornbirn. Seit 2018 Oral History -Projekt in Rankweil für das Historische Archiv der Gemeinde Rankweil und Veröffentlichungen unter dem Titel „Geschichten, die das Leben schreibt“.

Weiterführende Links:
In der Februar-Ausgabe 2023 der marie Strassenzeitung wurde Lisa Hämmerle von Brigitta Soraperra gefragt: „Wie geht Frieden?“ In ihrer Antwort, bei der sie sich auch auf globale Konfliktsituationen bezieht, betont sie: „Es geht um das Interesse am anderen Menschen, darum zu verstehen, warum er ist, wie er ist und handelt, wie er handelt. […] Wir müssen immer genauer hinschauen, wie es geschichtlich dazu gekommen ist, dass Kulturen oder Länder im Konflikt sind. In der Friedens- und Konfliktforschung beschäftigen wir uns intensiv mit den Hintergründen.“ Laut Lisa Hämmerle können Konflikte über den Weg der Empathie und des Verstehens transformiert werden, also in etwas Positives umgewandelt werden. Sie unterstreicht weiters die Möglichkeit, Konflikte zu nutzen, um die Ursache von Verletzungen und übertragene Traumata, die unsere Vorgängergenerationen erlitten haben, aufzuspüren.
Im Gespräch mit Brigitta Soraperra geht es darum, dass die früheren Konflikte und Kriegserfahrungen von Generation zu Generation übertragen werden. Wenn diese Traumatisierungen und damit verbundenen Emotionen unbearbeitet bleiben, können sie zu immer weiteren Konflikten führen. Dauerhafter Frieden wäre demnach nur möglich, wenn in irgendeiner Weise eine Aufarbeitung von durch Übertragung weitergegebenen Emotionen gelingt.

https://issuu.com/marie-strassenzeitung.at/docs/marie_79_f_r_issuu
https://themavorarlberg.at/quergedacht/konflikt-schafft-leben-und-leben-schafft-konflikt
https://themavorarlberg.at/gesellschaft/es-tut-mir-leid-zu-hoeren-dass-es-bei-ihnen-keine-konflikte-gibt
https://www.haemmerle-perpmer.com/about-us

 

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